Sunday, October 10, 2010

#168, Held der Kindheit

Vielleicht, weil plötzlich alle um mich herum Kinder bekommen. Vielleicht, weil der Herbst mich sentimental macht.
Jedenfalls muss ich seit einigen Tagen immer an Frederick denken, diese Buntpapier-Maus, die meine Mutter mir nur zögerlich als Held der Kindheit vorstellen wollte, und die man heute vermutlich direkt als Sozial-Schmarotzer bezeichnen würde.
Frederick also lässt seine Kumpels im Herbst all die Nüsse und Leckereien einsammeln, während er selbst auf der faulen Haut liegt. Im Winter dann frisst er den Anderen ihr Zeug weg, bis endlich seine große Stunde kommt und er die versammelte Mäuseschaft vor dem Erfrieren rettet, indem er von der Sonne erzählt.
Und wenn ich an Nachmittagen wie diesem an den einschlägigen Plätzen sitze, vor der Ankerklause oder auf der Admiralsbrücke, mit dem Gesicht immer in der Herbstsonne, dann sage ich: Warte, lass mich noch eine Zigarette rauchen. In ein paar Monaten werde ich dir davon erzählen, worüber wir lachten, wie sich die Sonne auf der Haut anfühlte, welche Nuance das Gelb der Blätter an den Bäumen hatte.

4 comments:

  1. Fein, dass Du auch diesen Held der Kindheit verehrst. Die erneute Begegnung mit der Geschichte als Erwachsener verwirrte mich dennoch. Am Ende der Geschichte heisst es:
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    Als Frederick aufgehört hatte, klatschten alle und riefen: "Frederick, du bist ja ein Dichter!"
    Frederick wurde rot, verbeugte sich und sagte bescheiden: "Ich weiß es - ihr lieben Mäusegesichter!"
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    Ist es "bescheiden" sich als Dichter zu bekennen? Ich grübele und grübele...meinen Kindern ist es wurscht, als ich sie danach fragte, fanden sie das Ende natürlich, so wie es ist.

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  2. Es ist niemals bescheiden, sich selbst als Künstler zu bezeichnen. Im besten Falle ist es natürlich. Und selbst das mag ich nicht bei Anderen, obwohl viele gut sind und ich ihre Selbsteinschätzung als Publikum bestätigen würde.
    Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich es nicht kann. Ich murmele jaichschreibeauch, wenn mich jemand fragt, leise genug, dass die andere Person nachfragen muss. Auch das ist natürlich bescheuert. Vielleicht ist das ein bisschen wie in Achims neuem Text, ich lege mich in die Hand der Anderen und damit oft genug auf die Schnauze.
    Sorry, ich glaube, ich habe schon wieder nicht auf deine Frage geantwortet.
    Trotzdem danke für den Anstoß!

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  3. Du hast auf die Frage geantwortet, danke. Du bestätigst mich in meinem Unwohlsein, dass Bekenntnis als Künstler gegenüber anderen bescheiden zu nennen. Das Urteil muss man anderen überlassen, genauso wie das Urteil, ob man ein(e) schöne(r) Mann/Frau ist (womit wir bei Joachims Text wären). Fredericks Äußerung lässt sich vielleicht damit entschuldigen, dass ihm die anderen Mäuse sagen, was er schon vermutet hat, dass er nämlich keine faule Ratte ist, sondern ein Dichter. Bescheiden ist sein "ich weiss es" dennoch nicht.

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  4. Goethe dagegen lud ja schon als ganz junger Mann in Frankfurt die Damen zur "Genie-Audienz" ein. DAS ist mal Selbstbewusstsein!

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