Tuesday, February 8, 2011

#241, "Wir sagen Dankeschön und Auf Wiedersehen und traurig klingt der Schlussakkord in Moll"

Gerade heute wäre es mir wichtig gewesen, mich strahlend und stark zu fühlen. Denn heute jährt sich der Beginn unseres Selbstversuchs, 365mal haben wir uns seitdem die Frage gestellt, die es heute zu beantworten gilt: Kann man, wie Mark Aurel andeutet, seine Persönlichkeitsstruktur in glücklichere Bahnen lenken, indem man sich auf das Positive, das Schöne konzentriert?
Gerne hätte ich diese Frage rundheraus mit einem strahlenden und starken Ja beantwortet.
Gerade heute allerdings fühle ich mich ein bisschen einsam, ein wenig klein, gerade heute habe ich den Großteil des Tages damit zugebracht, eine Wand anzuschauen. Die Ursache dafür ist eine mörderische Grippe, die mich schon seit Tagen ins Bett zwingt, also kein Grund zur Beunruhigung. Tatsächlich aber kann ich nicht behaupten, durch die Arbeit an Aurelio und die Hinwendung zur täglichen Schönheit zu einem guten oder seelenstarken Menschen gereift zu sein. Keine Spur.
Seine Spuren hat Aurelio nur dort hinterlassen, wo ich den Alltag wahrnehme. Das lässt sich vielleicht am besten mit einer Kamera vergleichen. Egal, ob ich in meinem Viertel unterwegs bin oder etwas Neues sehe, die bloße Tatsache, dass ich eine Kamera dabeihabe, ändert meine Wahrnehmung. Mein Blick wird schärfer, ich bin auf der Suche nach Motiven: Durch die Arbeit an Aurelio kann ich das Schöne jetzt besser sehen. Etwas ganz Ähnliches beschreibt vielleicht auch Achim, allerdings zweifellos in glanzvollerer Prosa: Wie die Seele an Farbe gewinnt.
Ich danke Euch allen, dieses Aurelio-Jahr war für mich ein sehr gutes Jahr.

#175, 600 mal den Traumzauberbaum (Achim)

Der eine erzählt, er hätte in Köpenick einen Typen getroffen, der hatte ein paar Kartons von der Platte, 600 Stück, Restbestände, 30 Jahre alt, keine Ahnung woher, er hatte sie und wusste nicht wohin damit. Er kaufte sie alle und dem Typen fiel ein Stein vom Herzen. Der Traumzauberbaum ist so eine Kinderplatte aus der DDR, an die sich mittlerweile selbst Wessis zu erinnern glauben – keine Ahnung, weswegen es genau diese sein muss. Die Geschichte der Platte kenne ich nicht, ich weiß nur: Sie verkauft sich. Er stellte sie immer ganz vorne in die Kiste – ein Blick genügte und die Platte war im Sack. Nach einem Jahr waren sie alle weg. Den ganzen Prenzlauer Berg muss er versorgt haben, ein ganzer Jahrgang wird seine Platten besitzen. Der Typ hat echt was bewirkt, denkt Euch nur, was für eine Verantwortung er trägt! 600 mal hat er den Traumzauberbaum in die Stuben der renovierten Altbauten rund um das LSD-Viertel geschickt – und die Kinder wissen gar nicht, wem sie den Zauber zu verdanken haben.

Monday, February 7, 2011

#193, Konjunktiv II: Die universale Lebensverhältnis-Vermischungsmaschine

Und jetzt mal Schluss mit der betulichen Biedermeier-Malerei. Was schön wäre? Mehr Gerechtigkeit in der Welt wäre schön.
Es wäre schön, wenn nicht schon durch den bloßen Zufall, wo einer geboren wird, große Teile seines Lebens vorherbestimmt wären. Wird einer in Afrika geboren, stirbt er früh, durch Hunger, AIDS oder Bürgerkrieg. Wird einer dagegen in Europa geboren, lebt er vermutlich länger, und vielleicht hat er sogar das Glück, bei Arbeitslosigkeit oder Krankheit vom Staat unterstützt zu werden.
Auch dieses Sozialsystem erklärt sich aber nicht dadurch, dass wir die fähigeren Politiker haben, wie meine Mutter glauben möchte. Dass unsere Länder reich sind, liegt eben daran, dass die anderen Länder arm sind. Wir kaufen billig und verkaufen teuer, manchmal an dieselben Länder. Wenn die Leute von fairem Kapitalismus sprechen, weiß ich nicht, was sie meinen. Was ich also tun würde, um mehr Gerechtigkeit zu generieren? Ich würde den Leuten ihre Kinder wegnehmen, im Alter von 10 Jahren. Und diese in Adoptivfamilien in entgegen gesetzte Länder stecken, bis sie 20 sind. Kinder aus Deutschland nach Sierra Leone, Kinder aus Uganda nach Schweden. Ich glaube, das würde genügen. Um den Rest würden sich die Menschen selbst kümmern.

Sunday, February 6, 2011

#117, Konjunktiv II: Ländliches Idyll, davor er und ich

Das Alter würde ich gerne in irgendeinem warmen Landstrich verbringen, ich würde in einem kleinen Häuschen wohnen, und im Garten hätte ich einen Rosenstock. Daneben einen Oleander, einen Jasmin und verschiedene duftende Gewürzsträucher. Meine Tomaten würde ich selbst anbauen und meine zwei Hühner jeden Morgen aus den Beeten verjagen.
Mein Mann und ich wären meistens gesund, er wäre in den letzten Jahrzehnten kahl geworden und ich hätte einen wirklich imposanten Hintern angesetzt, auf den mir mein Mann, der alte Schwerenöter, manchmal einen Klaps geben würde. Hin und wieder würden wir Schach spielen und dabei Brot in Milchkaffeeschalen stippen, meistens aber wären wir damit beschäftigt, uns von den alten Freunden oder unseren Kindern und Enkelkindern besuchen zu lassen.

Saturday, February 5, 2011

#200, Konjunktiv II: Frucht/furchtbarer Diskurs

Ich bin 32 Jahre alt. Wenn ich mich daran gewöhnt haben werde, werde ich bald die 33 feiern, das ist mir so ähnlich schon öfter passiert. Vor kurzem habe ich in einem Wissenschaftsblättchen eine Nachricht gelesen, die mich deutlich verstimmt zurückließ. Anstatt, wie bislang angenommen, mit Anfang 40, lasse die Fruchtbarkeit bei Frauen schon Mitte 30 rapide nach. Stand da. Und hat mich also verstimmt.
Da konnte ich mir tausendmal vorhalten, ich sei eine junge, urbane Frau und über schier biologische Zusammenhänge erhaben. Graefekiez und Prenzlauer Berg habe ich aus meiner Wohnungssuche bewusst ausgeklammert. Ich hasse Mütter-Rudel, die es amüsant finden, wenn einem die Welpen um die Beine springen. Überhaupt kann ich als junge urbane Frau dem Kleinkind nur wenig abgewinnen.
Aber die Wahrheit ist: Ich scharre mit den Füßen, ich kann gar nichts dagegen tun. Allmählich, nämlich bevor ich noch die Mitte 30 erreicht habe, hätte ich gerne ein Kind. Was soll ich sagen: Ich mache mich zum Gespött. Trotzdem wäre ich gerne Mutter, eine coole Mutter nämlich und mit einem coolen Vater zusammen, und gemeinsam würden wir dem Kind eine liebevollere Kindheit geben, als ich sie hatte.
Ich nehme an, diese Idee ist nicht wirklich originell. Scheiß drauf.

Friday, February 4, 2011

#200, Wie die Seele an Farbe gewinnt (Achim)

Die Vorstellung, die Seele ließe sich entlasten, indem man sich etwas von ihr redet, ist mehr als sonderbar – als ob ein grauer Schleier von ihr fallen könnte, indem Worte den Mund verlassen, und nach zwei Wein am Ecktisch ist das Gemüt wieder leuchtend rot. Viel spannender finde ich die Vorstellung, sich etwas auf die Seele zu reden, oder alternativ, zu schreiben, zu erzählen oder erzählen zu lassen, so dass mit dem, was erzählt wird, die Seele an Farbe gewinnt.

Wie Worte das aufnehmen können, was in den Sinnen liegt, zum Beispiel zwei Topfenstrudel, die das Wort „Stütze“ beschreiben, so wünsche ich mir Worte, die die Seele beschreiben können. Wenn es gelänge, in Worten die Farben des Topfenstrudels zu fangen, so könnte die Seele mit Worten an dem, was mit ihnen gefunden wurde, an Glanz gewinnen. Schreiben verliefe von außen nach innen: Das, was vor Augen liegt, beschreibt Worte, und die Worte wiederum beschreiben die Seele. Farbe und Glanz dessen, was der Kosmos hergibt, könnte Grund genug sein, die Augen weit auf zu machen und Schönheiten aufzusagen, so wie sie sich finden und wahrhaftig sind. Aufmerksamkeit ist eine Tugend, denn die Farbe der Seele ist der Glanz der geschilderten Welt.

Thursday, February 3, 2011

#200, Konjunktiv II: Glücklichere Umstände

Jeder ist seines Glückes Schmied, Volksweisheit. Vielleicht stimmt sie solange, wie man nicht Frau ist und Geisteswissenschaftlerin. Um in dieser Kombination einen dezenten beruflichen Erfolg jenseits des Praktikums zu haben, ist man definitiv auf glückliche Umstände angewiesen. Auch die Zufälle natürlich gilt es zu nutzen, ich sage nicht, dass es hier nicht auf die Eigeninitiative ankäme. Doch: Jeder ist seines Glückes Schmied, dieses kapitalistische Postulat vom Einsatz, der belohnt wird, das kann man den Erfolgs-Calvinisten ruhig abschlagen. Man muss ihnen ja nicht alles abkaufen, was sie einem als Selbstgeißelungs-Instrument so anbieten. Und wenn ich also schon auf die glücklichen Umstände angewiesen bin, dann wäre es doch schön, wenn sie ein wenig glücklicher wären, die Umstände.
Zum Beispiel könnte ich in Frankfurt mit dem Verleger auf eine verspätete Tram warten, und das Gespräch könnte Wochen darauf in den Geschäftsräumen fortgeführt werden, wo mir der ältere Herr erzählen würde, mein Buch begeistert verschlungen zu haben.
Oder meine Bewerbung, die wie immer ein wenig später als die meisten eingegangen wäre, könnte sich gerade aus diesem Grund als die einzig brauchbare erweisen, weil die unterbezahlte Personalmanagement-Praktikantin ihren Kaffee auf dem Stapel der anderen 169 Mappen umgekippt hätte. Wahlweise ließe sich das auch wechselseitig denken.

Wednesday, February 2, 2011

#171, Konjunktiv II: Was schön wäre

Je älter ich werde, desto mehr möchte ich zum Stoiker werden. Es wäre schön, in der Zukunft ein ausgewogenes Verhältnis zu finden. Zwischen den widerstreitenden Parts in meinem Leben, die kaum jemals unter einen Hut zu bringen sind: Wenn ich arbeite, schreibe ich nicht. Wenn ich aber doch arbeite und schreibe, dann vernachlässige ich meine Beziehung. Wenn ich, in seltenen Fällen, aber arbeite und schreibe und Sex habe, dann bleibt mit Sicherheit keine Zeit mehr für die Freunde. Wenn ich stattdessen, was überhaupt noch nie vorgekommen ist, arbeite und schreibe und Sex habe und mich mit den Freunden treffe, dann esse ich nur noch Sachen auf die Hand, Fastfood, das schlecht ist für mich, zwischen einem Termin und dem Anderen.
Und die Möglichkeit, etwa Sport zu treiben, ist damit noch nicht einmal angesprochen.
Schön wäre also, ein Verhältnis zu finden, das es mir erlaubt, all diese Dinge ihrer Priorität nach einzuordnen und abzustreichen. Ich könnte mich darauf konzentrieren, ein sinnvolles, selbstbestimmtes Leben zu führen, das mir in allen Punkten entsprechen würde.