Saturday, March 13, 2010

#199, Die Schönheit der Wand vor meinem Fenster

Die Mauer vor meinem Fenster ist eine sagenhaft lange, hohe, massive Mauer in etwa 200 Metern Entfernung. Zum Glück für uns alle hat man sie vor langer Zeit in einer Farbe von sehr hellem Milchkaffee getüncht, sie ist nicht weiß.
Im Abstand von etwa 20 Metern wurden mehrere kleine Schornsteine auf die Mauer gebaut, von meinem Bett aus zähle ich sieben. Auf ihrer anderen Seite vermute ich deshalb ein Wohnhaus, ohne dies jemals nachgeprüft zu haben.
Das Besondere dieser Mauer: Im Laufe des Jahres ändert sie ihr Aussehen. Im Winter steht sie als mittelalterliche Burgfront, die Schornsteine sind Zinnen, hinter denen die wackeren Mannen Wache schieben. Man erwartet einen Angriff aus bleigrauer Luft, jeden Augenblick kann ein Hagel aus Pfeilen niedergehen.
Die frühlingshafte Abendsonne dieser Tage bringt jedoch ihren milchkaffeefarbenen Teint zum Glühen. In einem unmöglichen Einfallswinkel (unmöglich zumindest dann, wenn die Sonne wirklich im Westen untergeht und Westen dort liegt, wo ich ihn immer vermutet habe) wird aus der drögen Wand ein strahlendes Dreieck, scharf begrenzt durch den Schatten des rechtwinklig stehenden Anbaus. Und dieses glänzende Dreieck hat eindeutig etwas Südliches. Gebäude in Cairo oder Granada sehen manchmal, bei optimalen Wetterbedingungen, so aus wie meine Wand im Frühling.

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