Friday, April 30, 2010

#188, Die Schönheit der Arbeiterklasse

J. hatte mich vor kurzem zu einer Lesung ins Schilling eingeladen.
Ich kam, wie kaum anders zu erwarten, mit deutlicher Verspätung an, eine Gelegenheit zum Gespräch ergab sich nicht mehr, in diese ganze Veranstaltung fühlte ich mich ziemlich hineingeworfen. Von den anderen Autoren ist mir deshalb auch kaum etwas in Erinnerung geblieben, sicher waren sie nicht schlecht, am Ende jedoch kam da dieser ältere Mann.
Seine Darbietung bewegte sich nah an der Grenze zur Lächerlichkeit, und trotzdem erinnere ich ihn mit Zärtlichkeit. Denn der ältere Mann stellte sich, den Augen und Urteilen aller, er stellte sich und Fragen wie: Habe ich mich von meiner Klasse entfernt oder hat sich meine Klasse von mir entfernt? Hm, dachte ich, zeitgemäß ist anders. Er muss gewusst haben, dass wir alle dachten: Hm, zeitgemäß ist anders.
Und wenn ich heute die Zeitung aufschlage und die Hauswände ansehe, mir überall KRAWALL UND REMMIDEMMI entgegenschlägt, manchmal hysterisch, manchmal erwartungsfroh vorgetragen, aber immer mit diesem deutlichen Touch von Event-Kultur, dann denke ich an den älteren, beinahe lächerlichen Mann zurück mit Achtung.
Es ist nicht einfach, das Wort Arbeiterklasse mit Innigkeit auszusprechen, ich habe es versucht.

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