Sunday, June 13, 2010

#199, Der Herr der Hähne

Jeden Tag um vier kommt der alte Mann und füttert seine Hühnerschar. Früher sammelte er noch die Eier, die wild verstreut auf dem Grundstück lagen. Er kannte die Lieblingslegeplätze der Hühner. Mit den Jahren beschränkte er sich darauf, auf seinem Klappstuhl zu sitzen und zu wachen. Die Hühner wurden weniger, die Hähne immer mehr, und nun, nach über 30 Jahren Wache, hat er nur noch eine Hand voll Hühner. Der Rest sind Hähne, die krähen, was das Zeug hält.

Er sagt, die Hühner werden geklaut, die Hähne nicht. Sie sind zu zäh um gegessen zu werden, auch wenn man sie stundenlang kocht. Früher wurden auch die Eier geklaut – das ließ nach, als das Gerücht umging, er hätte einige Eier mit Sprengstoff präpariert. Seitdem hat er viel Nachwuchs in der Schar. Und noch viel früher, als junger Mann, kämpfte er im Bürgerkrieg, auf der richtigen Seite.

Die Hähne sind laut. Die reichen Villenbesitzer in der Nachbarschaft fluchen und hoffen, dass er bald zu alt ist, um sie zu versorgen. Immer wieder mal kam einer angeschlichen und wollte ein Angebot machen. Ich sitze auf der Terrasse nebenan und lausche den Verhandlungen. Ich bin stolz auf meinen Nachbarn. Dem Kerl kann keiner.

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