Tuesday, June 15, 2010

#199, Spießer aus der Jugendzeit

Um das Fischerdorf herum sitzen die Villen in den Olivenhainen, einige entlang der Küste, einige im hügeligen Hinterland. In den Villen wohnen Schweizer, Deutsche und Engländer. Viele kamen nach Franco – und blieben, so wie sie waren.

In Argentinien soll es Dörfer geben, die über hundert Jahre alte regionale deutsche Gebräuche und Dialekte pflegen. Hier pflegen die Nachbarn die über zwanzig Jahre alten Sitten meiner Kindheit. Ich erkenne steife Tischmanieren, spaßige Komplimente an die Dame des Hauses, mit starker Hand begleitete Allgemeinplätze, Gesten zweifelhafter Hilfsbereitschaft und deftige Bekenntnisse zu deutschem Wein und Bier und zu deutscher Gemütlichkeit. Ich sehe ihre Blicke scharf wandern, wenn der Anstand, den sie noch leben, berührt wird.

Sie kennen die Treffpunkte der Gegend. Manchmal, wenn ein Fremder am Tisch sitzt, sprechen sie spanisch und sind stolz auf ein paar Brocken in zwanzig Jahren. Um sie herum wird längst katalanisch gesprochen. Man ist sich einig: das geht zu weit.

Im Schrank hier steht das ausgemusterte Geschirr, das den Frühstückstisch vor dem Schulbus zierte. Erstaunt greife ich wie gewohnt nach einer fast vergessenen Tasse. Tags drauf kaufe ich Milch, Kakao und Cornflakes. Die katalanische Kassiererin mustert mich, wiederholt den Betrag auf dem Display auf spanisch – ganz langsam.

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