Tuesday, December 28, 2010

#199, Flieht, ihr Narren (Achim)

Der eine Nachbar hat den anderen Nachbarn verpfiffen! Zwar kenne ich beide nicht, aber die Häuser, in denen sie wohnen, die kenne ich: Einfamilienhäuser, weiße Wände, kleine Gärten, braune Zäune, grade Straßen, Parkstreifen und Gehwege, auf denen jeder Zigarettenstummel auffällt und zu Spekulationen einlädt. Was man tut und was nicht scheint nirgends spannender zu sein als hier.
Der Nachbar hat gesehen, wie sich im Eisregen Eis um die Äste eines Strauchs gelegt hat. Der Strauch sieht schön aus, doch der Nachbar hat Angst: das Eis gibt den Ästen mehr Gewicht, dadurch hängt er einen ganzen Arm breit über dem Gehweg. Noch etwas Schnee und der eine große Ast bricht. Das Ordnungsamt weiß schon Bescheid, höre ich den anderen Nachbarn flüstern - er zieht vorsichtig an den Ästchen, um etwas Eis abzuschütteln.
Ich warte, bis ich allein bin, und versuche es ebenfalls – ganz sachte, nur, um die Gefahr abschätzen zu können. Der Busch überragt mich um zehn Zentimeter, die eine Schulter könnte
etwas Schnee abbekommen. Auch ich habe Angst, um den Nachbarn, meine Eltern und um alle, die zu alt sind, um einfach so mit einem herzhaften Lachen fliehen zu können, wenn mehr Schnee fällt –
gleich morgen zum Beispiel.

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